1 Zusammenfassung der Formulierungshilfe
Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen 2025 hat sich die Bundesregierung auf eine Wachstumsinitiative verständigt. Diese ist bereits am 17. Juli 2024 vom Bundeskabinett verabschiedet worden. Die darin enthaltenen rentenpolitischen Maßnahmen sollen mit Hilfe dieser Formulierungshilfe umgesetzt werden. Alle Maßnahmen verfolgen das Ziel, den Arbeitsanreiz zu erhöhen, um mehr Fachkräfte zu gewinnen bzw. im Erwerbsleben zu halten.
Konkret sind folgende vier Maßnahmen vorgesehen:
Einführung einer Rentenaufschubprämie
Mit § 107a SGB VI soll eine neue Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung geschaffen werden. Die Rentenaufschubprämie erhält, wer nach Erreichen der Regelaltersgrenze mindestens zwölf und maximal 36 Monate auf seine Rente verzichtet und weiterhin – mehr als geringfügig - erwerbstätig ist. Die Höhe der Rentenaufschubprämie entspricht der Höhe der Altersrente, die nicht in Anspruch genommen wird. Zusätzlich werden die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung an den Beschäftigten ausgezahlt. Gleichzeitig wird auf die Zuschläge verzichtet, die es normalerweise pro Monat gibt, wenn die Rente über die Regelaltersgrenze hinausgeschoben wird. Es entsteht damit die Wahlmöglichkeit zwischen den Zuschlägen in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat oder der Rentenaufschubprämie.
Die Rentenaufschubprämie soll auf Antrag gewährt werden.
Änderung beim Arbeitgeberbetrag zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung
Für Beschäftigte, die die Regelaltersgrenze bereits überschritten haben, zahlt der Arbeitgeber die Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Der*Die Arbeitnehmer*in zahlt keine Beiträge und erhält auch keine (zusätzliche) Leistung aus der Renten- bzw. Arbeitslosenversicherung. Die Neuregelung sieht vor, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nun freiwillig den beschäftigten Rentner*innen als Prämie ausgezahlt werden können. Dies soll einen finanziellen Anreiz zur Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus schaffen.
„Sockelbetrag“ bei der Einkommensanrechnung bei Hinterbliebenenrenten
Wer eine Hinterbliebenenrente bezieht, muss ab einem bestimmten Freibetrag einen Teil seines Einkommens auf die Hinterbliebenenrente anrechnen lassen. Um einen Anreiz zu geben, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder auszuweiten, soll ein Sockelbetrag eingeführt werden, bis zu dessen Höhe die Einkommensanrechung ausgenommen wird. Der Sockelbetrag entspricht der Geringfügigkeitsgrenze und wird ebenfalls dynamisch ausgestaltet. Aktuell beträgt die Höhe 538 Euro. Dadurch soll ein Vollzeitjob auf Mindestlohnniveau vollständig anrechnungsfrei bleiben.
Einschränkung des sog. Vorbeschäftigungsverbots ab Erreichen der Regelaltersgrenze
Das bisher geltende Anschlussverbot nach § 14 Absatz 2 Satz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes soll zukünftig nicht für Beschäftigte nach der Regelaltersgrenze gelten, wenn beim selben Arbeitgeber eine Höchstdauer von insgesamt acht Jahren oder zwölf befristeten Arbeitsverträgen nicht überschritten wird. Hiermit soll eine Hürde der Weiterbeschäftigung im Rahmen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes gelockert werden.
Aussagen zur Finanzierbarkeit der Maßnahmen und der Übernahme der Kosten werden keine gemacht.
2 Gesamtbewertung
Der SoVD ist insgesamt skeptisch, was die Anreizwirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen betrifft. Individuell betrachtet mögen sie für diejenigen, die ohnehin länger arbeiten wollen und können, attraktiv sein. Gerade die Rentenaufschubprämie hat aus unserer Sicht einen gewissen Charme, denn damit lassen sich möglicherweise kleine und größere Wünsche am Anfang des Ruhestands realisieren. Erreicht werden aller Wahrscheinlichkeit jedoch nur die Menschen, die gesundheitlich in der Lage sind, weiterhin einer Erwerbsarbeit nachzugehen und die auch einen passenden Arbeitsplatz haben. Das bedeutet, dass Menschen, die gesundheitlich angeschlagen sind oder in einem Beruf arbeiten, der ohnehin abgebaut werden soll, von diesen Regelungen nicht profitieren werden. Aus Sicht des SoVD muss es daher die oberste Priorität bleiben, alles dafür zu tun, dass die Menschen so lange wie möglich gesund arbeiten können und ein Leben lang Weiterbildung und Qualifikation für jede*n möglich sind.
Besonders kritisch bewertet der SoVD die fehlende Klärung der Finanzierung der Maßnahmen. So wie es bisher offenbar vorgesehen ist, kommen die Sozialversicherungen für sämtliche Kosten auf. Das sollte nicht sein, denn das entspricht nicht ihren Aufgaben. Es ist zudem auch nicht nachvollziehbar, da die vorgesehenen Maßnahmen Teil der Diskussion um die Fachkräftesicherung und eine alternde Gesellschaft sind, die die Sozialversicherungssysteme zunehmend belasten würden. Nun werden zur Lösung des Problems Maßnahmen vorgeschlagen, die zusätzlich Kosten für die Sozialversicherungen verursachen. Das passt nicht zusammen. Die Rentenversicherung rechnet mit Mindereinnahmen von 1 Mrd. Euro pro Jahr allein für die direkte Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge an die Arbeitnehmer*innen im Rentenalter. Zusätzlich würde die Nachhaltigkeitsrücklage schneller abgebaut, was dafür sorgen wird, dass der Beitragssatz früher und möglicherweise auch stärker steigen wird.
Insofern ist es umso wichtiger, dass die Maßnahmen wie in der Formulierungshilfe vorgesehen, nach fünf Jahren auf ihre Wirkung hin evaluiert werden. Wir sind skeptisch, dass damit viele Menschen, die nicht ohnehin geplant haben, länger zu arbeiten, erreicht werden.
Positiv zu bewerten ist hingegen, dass es bei den Hinterbliebenenrenten eine dynamische Regelung eines Sockelbetrags zur Einkommensanrechnung geben soll und die Rentenbezieher*innen so mehr von ihrem Einkommen zur Verfügung haben werden. Aber auch das geht zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung.
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen individuell betrachtet attraktiv sein können, sie jedoch zu Lasten der Sozialversicherungssysteme gehen, die ohnehin schon unter Druck stehen. Aus Sicht des SoVD ist es vielmehr notwendig, die gesetzliche Rentenversicherung weiter zu stärken, auch in finanzieller Hinsicht und sie nicht peu à peu auszuhöhlen. Gleichzeitig müssen die Arbeitsbedingungen so ausgestaltet werden, dass möglichst viele Menschen gesund das Rentenalter erreichen und dann entscheiden können, ob sie weiter arbeiten wollen oder nicht. Für den Großteil der Menschen stellt sich diese Frage jedoch gar nicht erst.
Berlin, 27. August 2024
DER VORSTAND
Abteilung Sozialpolitik