Der SoVD ist kein Umweltverband. Doch immer häufiger wird er von Wissenschaft, Umweltverbänden und Politik angefragt, um seine Expertise als Vertreter benachteiligter Gruppen in die Klimaschutzdebatte einzubringen. Ökologie und Soziales widersprechen sich dabei aus seiner Sicht keineswegs. Sie gehören vielmehr untrennbar zusammen – auch deshalb, weil das Unterlassen von Klimaschutzpolitik nicht weniger soziale Ungerechtigkeit verursacht als unzureichend sozial begleitete Maßnahmen. Der SoVD warnt aus diesem Grund davor, die Sorgen der Menschen gegen notwendige Klima- und Umweltschutzmaßnahmen auszuspielen. Er macht sich stark für wirksame Schritte in Richtung einer sozial-ökologischen Wende, zu deren Finanzierung ärmere Haushalte nicht weiter belastet, Vermögende aber angemessen herangezogen werden.
Bündnisse von Naturschutzorganisationen mit Verbänden aus anderen gesellschaftlichen Kontexten sind eher neu. Denn auf den ersten Blick scheinen sie wenig miteinander zu tun zu haben. Hinterfragt man etwas tiefer, wird schnell deutlich, dass notwendige ökologische Vorhaben nicht von sozialen Aspekten zu trennen sind und gemeinsam gedacht werden müssen. Dabei ist der Zusammenhang zwischen ökologischer und sozialer Politik komplex.
„Die Zerstörung von Lebensgrundlagen ist zunehmend auch zu einer sozialen Frage geworden“, stellt SoVD-Präsident Adolf Bauer fest. „Denn der Verlust von Lebensgrundlagen trifft generell jene mit weniger Ressourcen – und damit die vom SoVD vertretenen Menschen – früher und härter. Sie können vor Dürren oder Überschwemmungen schlechter fliehen, wohnen in schlecht gedämmten Gebäuden oder werden krank durch ihre Lebensumstände, belastet von mehr Müll, Lärm und Smog.“ Gleichzeitig trügen Personen mit vielen materiellen Ressourcen stärker zur Zerstörung von Lebensgrundlagen bei, so Bauer. „Mit steigendem Wohlstand wächst der ökologische Fußabdruck.“
Völlig unstrittig ist dabei für den SoVD: Die jahrzehntelange Überschreitung der natürlichen Belastungsgrenzen der Erde hatte so drastische Folgen, dass es konsequent zu handeln gilt. „Nur so können wir verhindern, dass kommende Generationen einen ökologischen Scherbenhaufen vorfinden und keine Chance mehr auf freie Entfaltung haben“, betont Bauer.
Viele Förderinstrumente sind sozial ungerecht
Viele aktuelle Umweltschutzmaßnahmen sind sozial ungerecht. Oftmals resultieren sie aus politischen Kompromissen, die nicht zu Ende bedacht wurden. Davon profitieren häufig Bessergestellte, während sozial Benachteiligte zusätzliche Belastungen erfahren.
Insbesondere Förderinstrumente, die über Steuererleichterungen oder den Preis Anreize für klimaschonendes Verhalten schaffen, verstärken die Umverteilung von unten nach oben, rufen weitere Existenzsorgen hervor und erzwingen von Ärmeren zusätzlichen Verzicht.
Ein Negativbeispiel: Um den Treibhausgas-Ausstoß zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen, wurde Anfang des Jahres 2021 in Deutschland ein CO2-Preis auf Kohle, Benzin, Diesel, Heizöl und Gas eingeführt. Die damit verbundenen höheren Energiekosten – für Heizmittel und energetische Sanierung – werden derzeit einseitig auf Mieter*innenseite umgelegt.
Dabei übersieht die Politik oder nimmt in Kauf, dass weniger vermögende Haushalte oft nicht in der Lage sind, noch mehr Geld für die Miete auszugeben. Weil Ärmere außerdem meist in schlecht ausgebauten Wohnungen leben, in denen nun vor dem Hintergrund der CO2-Bepreisung besonders häufig Modernisierungen zur Verbesserung des Dämmzustandes anfallen, sind sie gleich in zweifacher Weise von Mieterhöhungen betroffen.
Wegen der mit den steigenden Energieausgaben in Summe wachsenen Mietkosten müssen immer mehr ärmere Menschen befürchten, ihre Wohnung nicht mehr halten zu können.
Abstiegs- und Isolationsängste verursacht auch das Auslaufen von Verbrennungsmotoren. Denn Menschen mit geringeren Einkommen können sich die deutlich teureren Elektrofahrzeuge nicht leisten. Gerade in ländlichen Gebieten steht deshalb für viele der Verlust ihrer Mobilität auf dem Spiel. Dies gilt umso mehr, als dort vielerorts der öffentliche Nahverkehr schlecht ausgebaut ist.
Mehrheit möchte Beitrag zu Umweltschutz leisten
Auch im Bereich des täglichen Bedarfs ist der Druck hoch, sich ökologisch richtig zu verhalten: Lebensmittel und Haushaltswaren sollen möglichst nachhaltig gekauft und konsumiert werden.
Viele Bürger*innen wollen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten mit der Überzeugung: Wenn sich die Masse nachhaltiger, bewusster, sparsamer, sozial verantwortlicher verhält, zwingt sie Industrie und Handel dazu, sozial- und umweltfreundlichere Produkte herzustellen. Das könnte sowohl eine bessere Qualität der Produkte als auch faire Produktionsbedingungen schaffen.
Wer möchte und finanziell dazu in der Lage ist, kann inzwischen aus einem riesigen Angebot ökologischer Waren wählen. Doch vor dem Hintergrund zunehmender Verarmung bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein, können sich immer weniger Haushalte die hochpreisigen Öko-Markenwaren leisten – das gilt insbesondere für den Verzehr von Fleisch. Hinzu kommt, dass vielen Menschen das Wissen über einen umweltbewussteren Lebensstil noch weitgehend fehlt.
Gelingen der Klimawende nicht nur ins Private verlagern
Auch mit weniger Geld kann grundsätzlich nachhaltiger eingekauft werden – so etwa mit saisonal oder regional angebautem Obst und Gemüse. Doch sollten in Sachen Klimaschutz nicht ausgerechnet diejenigen den Gürtel noch enger schnallen müssen, die schon aufgrund ihrer fehlenden materiellen Möglichkeiten weitaus weniger zur Zerstörung der Umwelt beitragen als Wohlhabende.
Kritiker*innen bemängeln deshalb, dass die Verantwortung für das Gelingen einer sozial gerechten, ökologischen Wende nicht noch stärker ins Private verlagert werden dürfe. Dies nehme Politik, Zivilgesellschaft, Industrie und Wirtschaft zu sehr aus der Pflicht. Nachhaltigkeit sei nicht (allein) Privatsache, sondern vor allem eine öffentliche Aufgabe.
Auch der SoVD ist davon überzeugt, dass die sozial-ökologische Wende – neben dem gebotenen Beitrag jeder und jedes Einzelnen – vor allem einen Richtungswechsel der politischen Rahmenbedingungen über entsprechende Gesetzgebungen erfordert.
„Notwendig ist aus unserer Sicht ein tiefgreifender und umfassender Umbau des Wirtschafts-, Handels- und Konsumsystems unter Berücksichtigung der sozialen Komponente“, stellt SoVD-Präsident Bauer heraus. „Dazu gehören Entlastungen bei Strom und Wärme für ärmere Haushalte. Ebenso können höhere Mobilitätspauschalen statt Pendler*innenpauschalen wirksame Instrumente in Richtung einer ökologisch-sozialen Wende sein.“
Steigende Energiepreise bei Sozialleistungen einplanen
Vertreter des SoVD waren bereits 2019 als Referent und als Podiumsgast zu Veranstaltungen von Naturschutzorganisationen geladen (siehe auch Bild re.). Im vergangenen Jahr sprach sich der Verband in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem NABU für den Ausbau des barrierefreien öffentlichen Personennahverkehrs aus.
Er stellte sich gleichzeitig gegen umweltschädliche Subventionen wie Dienstwagen- und Dieselprivilegien. Der SoVD forderte darüber hinaus, die steigenden Energiepreise bei Sozialleistungen zu berücksichtigen – ein Anliegen, das nun, ein Jahr später, aktueller ist denn je. Überdies machte sich der SoVD im Schulterschluss mit anderen dafür stark, weitere Belastungen für Mieter*innen abzuwenden. „Jetzt muss es darum gehen, alle notwendigen Klimaschutzmaßnahmen mit sozialen Maßnahmen zu flankieren, damit alle Menschen am umweltbewussten Leben teilhaben können“, bekräftigt Bauer die Forderungen.
SoVD möchte ökosoziale Wende inhaltlich begleiten
Ist die Politik bereit für Umweltschutz mit sozialer Gerechtigkeit? Als ältester Sozialverband in Deutschland wird der SoVD seine Positionen künftig noch deutlicher herausarbeiten, um die „ökosoziale Wende“ sozialpolitisch anzuschieben und zu begleiten. Darüber wird in den kommenden Ausgaben fortlaufend berichtet.