Frauen bringen im Durchschnitt täglich anderthalb Stunden mehr Zeit auf für Haushalt, Kinder und Angehörige als Männer. Der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zur Sorgearbeit belegte diese Gerechtigkeitslücke anhand von Zahlen. Damit setzte sich Anfang September eine hochkarätig besetzte frauenpolitische Veranstaltung des SoVD auseinander. Als dramatisch bezeichnete es dabei Bundesfrauensprecherin Jutta König, dass diese ungleiche Verteilung sich unmittelbar auf das Einkommen und somit auch auf die Rente der Betroffenen auswirke. Der SoVD setze sich aus diesem Grund für ein gesellschaftliches Modell ein, das es beiden Geschlechtern ermöglicht, Erwerbs- und Sorgearbeit zu gleichen Teilen zu übernehmen.
Wie lassen sich Erwerbs- und Sorgearbeit über den gesamten Lebensverlauf hinweg partnerschaftlich aufteilen? Diese Frage diskutierten zahlreiche Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik und Praxis im Rahmen der frauenpolitischen Fachveranstaltung des SoVD in Berlin. Interessierte konnten die Vorträge und Diskussionen am Computer live mitverfolgen.
Sorgearbeit – entweder gar nicht oder schlecht bezahlt
„Putzen, waschen, kochen – was davon macht Jochen?“ So lautete, provokant zugespitzt, das Thema der Veranstaltung, die von SoVD-Bundesfrauensprecherin und Präsidiumsmitglied Jutta König eröffnet wurde. Sie wies darauf hin, dass Frauen angesichts unbezahlter Sorgearbeit oftmals kaum Zeit bliebe, ein auskömmliches Einkommen zu erwirtschaften. Weiterhin würden überwiegend weibliche Berufe, etwa in Kitas, Grundschulen oder in der Pflege, zudem weitaus schlechter bezahlt als etwa Tätigkeiten in der noch immer vorwiegend männlich geprägten Industriearbeit. Damit, so König, sei Altersarmut für viele Frauen vorprogrammiert.
SoVD-Präsident Bauer nimmt Politik in die Pflicht
SoVD-Präsident Adolf Bauer wandte sich mit einem Grußwort an die Teilnehmer*innen und warnte davor, die ökonomischen und sozialen Folgen einer vorrangig traditionellen Rollenverteilung außer Acht zu lassen. Diese entsprächen längst nicht mehr den Lebensvorstellungen moderner Paare.
An die Adresse der Politik richtete Bauer den Appell, die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit mit familienpolitischen Leistungen ehrlich in den Blick zu nehmen. Die Verdoppelung der Kinderkrankentage sei vor diesem Hintergund nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Diverse Vorträge erörterten das komplexe Thema
Mit der gerechten Verteilung unbezahlter Sorgearbeit als gleichstellungspolitisches Ziel setzte sich Sven Paul, Referent im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), in seinem Vortrag auseinander.
Ihm folgte Anja Weusthoff, stellvertretendes Vorstandsmitglied im Deutschen Frauenrat. Sie wies in ihrem Redebeitrag darauf hin, dass die Corona-Pandemie sichtbar gemacht habe, welche Bedeutung die Haus- und Sorgearbeit für unsere Gesellschaft hat. Entsprechende Tätigkeiten seien keinesfalls selbstverständlich.
Vor Rollenklischees warnten Almut Schnerring und Sascha Verlan in ihrem Beitrag. Mit dem Verein klische*esc haben sie es sich zum Ziel gesetzt, Menschen für limitierende Rollenbilder zu sensibilisieren und über deren Folgen aufzuklären.
Soziologin schlägt zeitliches Budget für Sorgearbeit vor
An der Podiumsdiskussion beteiligten sich mit Ulle Schauws (Bündnis 90 / Die Grünen), Klara Geywitz (SPD) und Nicole Bauer (FDP) namhafte Politikerinnen. Gemeinsam mit Sascha Verlan diskutierten sie unter anderem ein von Dr. Karin Jurczyk vorgestelltes Modell, mit dem sich Sorgearbeit nicht nur gerechter verteilen, sondern auch aufwerten ließe. Das Konzept der Soziologin gesteht dabei allen Menschen für ihr Erwerbsleben ein Zeit-Budget für Sorgearbeit von neun Jahren zu. Dieses ließe sich Dr. Jurczyk zufolge mehr oder minder frei auf den Lebenslauf verteilen und brächte für diese Zeiträume Geld und Rentenpunkte – etwa für Ehrenamt, Kindererziehung oder Pflege.
Frauen im SoVD fordern Gerechtigkeit
Die Frauensprecherin des SoVD-Landesverbandes Niedersachsen, Roswitha Reiß, schloss die Veranstaltung mit einem eindringlichen Appell der Frauen im SoVD. Neben öffentlichen Zuschüssen zur Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen und einer bezahlten Freistellung für Väter und Co-Mütter nach der Geburt forderte sie auch die Einführung einer Entgeltersatzleistung für Pflegezeiten.